Nach dem Frühstück Besichtigung des Klosters von Gyantse. Schließe mich dem versuchsweise an. Finde darin haufenweise Buddhastatuen mit garantiert ausdrucksbefreiten Gesichtern vor. Buddha ist, wie ich behaupten zu dürfen glaube, stets vollständig gesichts- und ausdruckslos dargestellt, sieht man einmal von dem mild-nichtssagenden Lächeln ab, das aber unpersönlich. Vermutlich hat dies eine waaaaaahnsinnig tiefgründig theologische Erklärung, die mir aber bei meinem wirklich guten Willen, Kontakt mit Buddha herzustellen, schlechterdings wenig hilft. Dem Kloster zugehörig ein burgartiges Gebilde. Aufstieg dorthin tut gut. Endlich Bewegung für mich simples Gemüt. Bin gar nicht träge.
Um das Kloster herum erstreckt sich die Altstadt, die reizvoll. In Wahrheit ein Dorf, worin die Kühe auf der Straße angebunden stehen. Tatsächlich der erste, einigermaßen buchenswerte Kultureindruck für mich in Tibet.
Gyantse war seit jeher Verkehrsknotenpunkt zu Nepal und Indien. Auch George Mallory, der 1924 auf dem Everest umgekommen, machte hier Station. Das waren noch Expeditionen! Habe unlängst gelesen, dass die damals Anfang Jänner in England aufgebrochen sind, um im April am Everest zu sein. Schiffsreise über Suez nach Kalkutta, dann Rekrutierung der Träger und dann hunderte Kilometer nach Tibet im wochenlangen Fußmarsch.
Die Menschen hier übrigens durchwegs über die Maßen freundlich – zumal die Frauen. Da und dort naturgemäß Gestalten, zwischen deren Augen nach meinem Empfinden dunkles Fluchwesen lagert.
Dann Abfahrt nach Shigatse, das die Endstation der Eisenbahn bildet, die die Chinesen nach Tibet gebaut. Shigatse birgt auch ein Kloster mit allerlei Pagoden und einer Stupa. Im aufgefrischten Wissen darum, dass mich darin auch nur die pure Gesichtslosigkeit erwartet, ziehe ich es vor, die Stadt nach ein paar Laufschuhen zu durchsuchen, da ich mir mit den halbhohen Trekkingschuhen eine ärgerliche Druckstelle auf der Achillsehne zugezogen. Gebe Suche aber alsbald auf, da die Nachfrage nach Schuhen in Größe 46 hier nichts als kopfschüttelndes Gelächter auf sich zieht. Werde wohl bis zum Basislager mit meinen Sandalen marschieren, denn die Druckstelle (ohne Hautverletzung, wie Blase) markanter als gedacht. Solche kleinen, lächerlichen Beschwerden werden mir hier stracks zu einem Grund für Nervosität. Hoffentlich bleibt das harmlos.
Shigatse – nicht anders als Lhasa und Gyantse – ansonsten eine Ansiedlung, deren (mag sein) geschichtliche Tradition von der Moderne gleichsam überfallen. Kein organisches Wachstum. So etwas für das Gesamtbild immer schädlich. Europa, Du hast es besser!
Mir sehr beeindruckend die auf den Feldern arbeitenden Bäurinnen und Bauern, die über keinerlei Maschinen verfügen. Unter ihnen intersanterweise auch die sympathischsten Gesichtsbildungen.
Verpflegung sehr gut. Ich esse recht brav. Das ist Kari Kobler zu danken, der auch für eine Unterbringung sorgt, die (gemessen an den hiesigen Standards) zu belobigen. Wenn die Duschen einigermaßen Warmwasser abgeben, ist man schon zufrieden. Mein Zimmergenosse und Landsmann Reinhard Grubhofer auch ein Glücksfall, da mir sehr angenehm (und, wie ich hoffe, ich ihm auch kein Nachteil).
Morgen Weiterfahrt nach Chegar (oder wie auch immer in lateinischen Lettern zu schreiben). Dort letzte Übernachtung in fester Behausung. Dann Weiterfahrt ins Basislager. Ankunft dort und damit erstes Angesicht des Everest am Jahrestag meiner Geburt. Möge es ein gutes Omen sein.