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Folge 3 (April 2002): Sport und Denken

 Kurt Dattingers Apodiktum 

Kommentare zu Zeitläuften abseits von DattiSports


(Folge 3)

Sport und Denken

    

      Ein gewisser Reinhard P. Gruber war es, welcher sich in der vom 09. April 2002 datierenden Ausgabe derjenigen Tageszeitung, die sich einem größeren, ja "dem großen Horizont" schlechthin verschrieben wissen will, genauer in einer darin wiederkehrend erscheinenden Rubrik, deren Titel "Literatur im Sport" ein allerdings gar beziehungsreiches Oxymoron bildet, äußerte wie folgt: 

"Ich werde den spanischen Jakobsweg nach Santiago de Compostela zu Fuß gehen, 850 Kilometer. Ich hab's zumindest vor.

Gut, das haben insgesamt - seit dem Mittelalter, als dieser Weg modern wurde, weil er nicht so weit wie nach Jerusalem war - schon ein paar Millionen Menschen gemacht, aber bisher war ich nicht dabei, kenne diese Erfahrung nicht; und jetzt möchte ich diese Erfahrung machen. Eine Erfahrung, die eigentlich eine Ergehung ist, ich fahre garantiert nicht. Ich gehe nur. Das ist der Höhepunkt des Sports: Gehen. Lang gehen. Nicht fahren, nicht laufen, nicht rutschen, nicht schwimmen, nicht turnen, nicht schießen, nicht hüpfen, nicht springen, nicht bergsteigen, und schon gar nicht gehen als Leistungssport, bei dem man sich das Becken ausrenkt und die Gelenke ruiniert: Gehen ist die einzige menschliche Fortbewegungsart, die sich am Menschen selbst orientiert. Gehen im Sinne von Wandern. Wer auf einem Weg ist, der läuft nicht. Wer läuft, läuft auf einer Bahn. Wer geht, geht einen Weg. Hoffentlich seinen eigenen Weg. Wer geht, ist unterwegs. Wer läuft, ist unter Streß. Wann und wie ich von diesem Weg zurückkomme, weiß ich jetzt nicht im geringsten. Alle Läufer kennen ihr Ziel. Die, die unterwegs sind, schauen einmal, wo es sein könnte.

Verflucht seid ihr Leistungssportler, euer Ziel ist euch sicher: der Ruin eures Körpers. Ihr verkauft euer Leben dem Rekord, der Medaille, dem Zielgeld. Euer Denken laßt ihr im Stall, der Körper, so glaubt ihr, gibt euch, wovon ihr euer ganzes Leben leben werdet. Aber, ihr Muskelpakete, es ist unausweichlich: eines Tages trifft euch ein Blitz, und dieser Blitz ist vorerst nur das Aufleuchten eures eigenen Hirns, und dieser Blitz macht euch bewußt, wie bewußtlos ihr gelebt habt - das hirnfreie Leben, das Dasein als Muskel, der Rekord als das Ziel - das ist es dann doch nicht, was bleibt für den Menschen. Es ist mehr, viel mehr.

Was für den Menschen bleibt, ist der Weg. Freilich gibt es viele Wege. Es gibt auch viele Menschen. Aber wer sich nicht auf den Weg macht, wer picken bleibt, wer nur in den Stadien herumläuft, wer immer im Kreis fährt, wer nur die Lifte kennt, die auf die Berge fahren und nicht die Wege - der ist arm. Hoffentlich ist er nicht gestorben. Denn das Betreiben von Muskeln bietet keine Sicherheit für die Lebendigkeit des Gewebes. Gewebe kann auch mit elektrischen Reizen stimuliert werden. Gehen ist die menschlichste Form des Sports, weil Gehen Denken nicht verhindert.

Diese Predigt mußte sein. Und jetzt auf nach Santiago! Tschüß!"

Uns hier von DattiSports - diesem Verein, dem der katholisch-nationalsozialistische Stumpfsinn so unverkennbar schon auf den Namen geprägt ist wie keinem andren - konnte diese Predigt des Biographen Hödlmosers naturgemäß nicht gleichgültig lassen. Schonungslos finden wir uns darin die Wahrheit vor Augen geführt: Ja, Sport obstruiert das Denken, er verhindert es schlechterdings, nicht nur bei seinem Publikum, mehr noch bei seinen Protagonisten.

Jedenfalls konnten wir von DattiSports nie noch das Keimen einer verfolgenswürdigen Idee in uns beobachten, wenn wir auf dem Rad saßen, im Wasser schwammen oder zu Fuß liefen. Ganz im Gegentum: Die Entwicklung eines sich fruchtbar fortzeugenden Gedankens scheint in diesem Zustand schier unmöglich, von genialer Idee ganz zu schweigen.

Also: Wir können, wenn wir Sport betreiben, "sporteln" sozusagen (dieses Wortungetüm sagt eigentlich schon alles), nichts weniger als klar denken. Insofern hat dieser - sich des Denkens offenbar immerzu befleißigende - Reinhard P. Gruber unzweifelhaft Recht.

Allein, zu anderer, zu diametraler Konsequenz finden wir uns aus diesem Befund bestimmt als jener: Offen dürfen wir nämlich bekennen, dass nicht zu denken, uns immer schon ein Gutes, ein Vorteil zu sein dünkte. Warum?

"Wenn wir klar denken, müssen wir uns umbringen." Das ist's, was uns vor klarem Sinnen zurückschrecken lässt. Uns plagt die furchtsame Ahnung, Thomas Bernhard, von dem das Apercu stammt, könne mit diesem so anmutig simplen Konditionalsatz just das getan haben, was aber den Suizid demnach geböte: Er könnte klar gedacht haben.

Oder ist es gar Gewissheit? Wann immer wir von DattiSports - mutig von Natur aus - das gefährliche Wagnis des Denkens oder dessen, was wir dazu minder Veranlagte dafür halten, unternahmen, brachte dies uns im Angesicht der dabei schrecklich erworbenen Erkenntnis jedenfalls nur Bankerott hoffnungsfroh-optimistischer Gesittung und Verzweiflung an der Welt.

Weit über das Postulat Arnold Schwarzeneggers hinaus fordern wir daher: Hände weg nicht nur "von die Drogen", Hände weg auch vom Denken! "Weil das macht euch hin!" Noch viel mehr hin, als es Drogen zu tun vermöchten. Als unserer schwankenden Verfassung viel wesensgemäßer haben wir daher schon bald die Abwesenheit des Denkens und seiner fratzenhaften Tochter, der Erkenntnis, identifiziert. Und da beschlossen wir, Sportler zu werden.

So! Auch diese Predigt musste sein. Jetzt aber auf die Strecke und ab nach nirgendwo, natürlich auf dem Rad. Und tschüß!

Graz, am 14. April 2002

Kurt Dattinger eh.

Beitrag nochmals vollständig durchgesehen im Dezember 2007. Lesen Sie das geschichtlich authentische Dokument hier!