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Folge 6 (Juni 2003): It was Land of Hope and Dreams!

 Kurt Dattingers Apodiktum

Kommentare zu Zeitläuften abseits von DattiSports


(Folge 6)

 It was Land of Hope and Dreams!

Bruce Springsteen am 25.Juni 2003 im Wiener Praterstadion

 
 

         "Are you ready to testify??! I ask: Are you ready to testify??!" - Nein, es war kein durchgeknallter Wanderprediger, der dies vorgestern in die im Praterstadion versammelte Menge schrie. Es war ein gewisser Herr Springsteen, amerikanischer Prolet aus einem Kaff namens Freehold, mittlerweile weit über 50 Jahre alt, der hier zur Zeugenschaft aufrief, zur Zeugenschaft dessen, "that you can learn more from a three minute record than you ever learned in school".

Für drei Stunden entführte der Malocher des Rock 'n' Roll mit der E-Street-Combo in sein "Land of Hope and Dreams", schuf einmal mehr Trost jenen, die seiner bedürfen, und bekräftigende Dankbarkeit den glücklich Verfassten.

In der heutigen "Presse" kritisiert ein gewisser Samir H. Köck - wahrscheinlich zurecht -, dass "mit Nils Lofgren und Steven van Zandt [...] zwei Axtschwinger um die Vorherrschaft im Wald [buhlten]", erinnert nicht ohne Berechtigung an das "flachbrüstig vorgetragene Born to Run". Wenn dann freilich darauf die Rede kommt, dass Springsteen "sich [...] auf die Magie seiner Charismalosigkeit" verlassen habe, so muss ernstlich am Verstand des Redakteurs gezweifelt werden.

Die Wahrheit ist: Nie war Springsteens Charisma größer. Zum Vorteil gereicht ihm sein Alter. Reif ist die Stimme. In wunderbarem Timbre erzählt sie uns - gleichviel, ob laut oder leise, inbrünstig schreiend oder kolloquial flüsternd - von allem, was des Berichts würdig ist. In jedem seiner Berichte liegt freilich, tief im Grunde oft und in all der Traurigkeit beinahe unerklärlich, wenn aber entdeckt, dann ganz und gar tröstlich: ein Versprechen - ein Versprechen, das keinen Namen hat, es ist einfach nur the Promise of Bruce Springsteen.

Talent ist kein Verdienst, mühsamer Kampf um das Ziel schon. Springsteens Musikalität ist ein bitter gegen die Durchschnittlichkeit erstrittener Sieg. Und was für ein Sieg! Mick Jagger, Jon Bon Jovi, Herbert Grönemeyer, die ich in letzter Zeit erleben durfte...nein...musste, alle sind sie Sänger aus der eigenen Konserve, deren Gestammel in der lebendigen, einmalig-unwiederholbaren Darbietung ohne den wohligen Schutz des Studios kläglich versagt. Springsteen indes singt auf der Bühne besser als auf dem Tonträger.

Dieser Mann kommt ohne lächerliches Bühnenbrimborium aus, betritt ungeschminkt die Bühne - diesmal sogar mit einem Hautfetzen im Mundwinkel - und macht ganz ohne Feuerwerk und Lichtshow noch aus den schlechtesten seiner Lieder eine Sternstunde. Unvergesslich etwa bleibt dem Besucher die Interpretation von "Mary's Place", das nun wirklich ein eher mediokres Liedchen ist. Wer aber bei der lebensechten Darbietung mitsamt Vorstellung der Band nicht mehr gelernt hat als in der Schule - oder mindestens an Bedeutung für das Leben Ebenbürtiges -, dem ist schlechterdings nicht zu helfen.

Im "Standard" wiederum spricht ein Christian Schachinger immerhin von einem "sensationell guten Sound", um sich dann in die Aussage zu verirren, "das Ganze [sei] aber streng ironiefrei" angelegt gewesen. Wo war der Mann, als Springsteen die Band in wie üblich durchsichtig ironischem Pathos vorstellte und seiner Frau Patti Scialfa ("Brunettes are fine and blondes are fun, but when it comes to gettin' a dirty job done, it takes a red headed woman.") in lächerlich submisser Pose den gesamten Arm küsste? Wo war der Mann, als Springsteen zumal bei seinen alten Hadern blöde in die Menge stierte, als wollte er verarschend sagen: Muss ich das wirklich schon wieder spielen!? Wahrscheinlich war der Redakteur draußen vor der Tür scheißen oder so was.

Amerika, ich verzeihe Dir alles, sogar Deinen vertrottelten Präsidenten. Wie könnte ich anders angesichts des großen Geschenks, das Du mir mit der Kunst von Bruce Springsteen machst?

Wien, am 27. Juni 2003

Kurt Dattinger eh.

Beitrag nochmals vollständig durchgesehen im Dezember 2007. Lesen Sie das geschichtlich authentische Dokument hier!